Videoinstallation: “4 x Sally. Ein synoptisches portrait von Sally Perel, dem Hitlerjungen Salomon”

„Hitlerjunge Salomon“ Sally Perel

Sally Perel oder ursprünglich Salomon Perel wird 1925 als Sohn eines orthodoxen jüdischen Rabbiners in der deutschen Stadt Peine geboren. Als die Nazis an die Macht kommen, weicht die Familie nach Polen aus. Beim Überfall der Wehrmacht auf Polen schicken die Eltern den kleinen Salomon mit seinem älteren Bruder mit dem Auftrag nach Osten, sich in Sicherheit zu bringen. Der Bruder setzt auf Veranlassung einer jüdischen Hilfsorganisation den kleinen Salomon in einem sowjetischen Waisenhaus ab, wo dieser für zwei Jahre eine Ausbildung im stalinistischen Komsomol geniesst ehe das dritte Reich die Sowjetunion überfällt. Wieder auf der Flucht nach Osten findet er sich plötzlich mit vielen Anderen als Gefangener der Wehrmacht im Kessel von Minsk wieder. Diese beginnt Juden und Kommunisten (Kommissare) sofort zu erschiessen. Wenige Augenblicke vor seiner eigenen Exekution rettet er sich durch eine Notlüge: Er behauptet “Volksdeutscher” zu sein. Wie durch ein Wunder wird ihm geglaubt, während andere jüdische Buben und Männer auf ihre Beschneidung hin gecheckt und erschossen werden. Er wird als Jupp (Josef) zum Maskottchen der Panzereinheit und nimmt als (Russisch-) Dolmetscher ein Jahr am Russlandkrieg teil – bis zu dem Zeitpunkt als der Kommandeur der Truppe ihm anbietet, ihn „nach dem Endsieg“ zu adoptieren. Was hätte er tun sollen, er nimmt an und wird sofort zurück nach Deutschland in eine HJ-Eliteschule geschickt. Dort erhält er eine Ausbildung zum HJ-Führer und steht dabei unglaubliche Ängste aus, als Jude entdeckt zu werden. Schliesslich befindet sich die Schule nur wenige Kilometer von seiner Geburtsstadt entfernt und er muß permanent fürchten, erkannt zu werden.

Perel beschreibt die Gehirnwäsche an den Jugendlichen in der Hitlerjugend: “Jupp wurde zu einem strammen Hitlerjungen”. Er schildert das Zerrissen-Sein in zwei Persönlichkeiten drastisch und schonungslos offen: “Sally hat sich vor Jupp gefürchtet. Er war sein Todfeind! Um zu überleben musste Sally sein eigener Feind werden” und “Jupp, der Nazi hat mich nie mehr verlassen”.

 

synoptisches portrait

Die Methode des videobasierten „synoptischen Erzählens“ wurde von Friedemann Derschmidt im Rahmen der vom Wissenschaftsfond geförderten Forschungsprojekte Memscreen und Conserved Memories entwickelt.

hebräisch / deutsch

Im Juli 2016 wurden jeweils zwei Gespräche zwischen Sally Perel und Friedemann Derschmidt in Deutsch und zwischen Sally Perel und Shimon Lev in Hebräisch geführt. Wobei jeweils einmal mit Salomon dem Juden und einmal mit Josef (Jupp) dem Hitlerjungen gesprochen worden ist. Erstmals gezeigt wurden alle vier Videos im Dezember 2016 im Jüdischen Museum in Wien.

polnisch

Im Juni 2017 wurden von Derschmidt zwei weitere Videogespräche diesmal in polnischer Sprache aufgenommen, welche von Julka Mackiewicz-Saban und Hana Starowicz-Tow mit Sally Perel geführt wurden. Hintergrund dafür ist die Tatsache, dass Herr Perel nachdem die Familie aus Deutschland geflohen war vier Jahre im polnischen Łódź gelebt hat (1935 – 1939). Die beiden polnischen Videos wurden neben einem hebräischen (Shlomo) und einem deutschen (Josef) in der Galerie Salon Akademie der Akademie der bildenden Künste in Warschau uraufgeführt.

russisch

Salomon Perel wurde nach der Flucht aus dem deutsch besetzten Polen in das sowjetisch besetzte von seinen Geschwistern getrennt und lebte in einem Waisenhaus in Weissrussland, wo er über zwei Jahre Mitglied der kommunistischen Jugend der Sowjetunion (Komsomoz) gewesen ist, eher er weiter vor der heranrückenden deutschen Armee flüchtend in die Hände eben derselben fiel.

Derschmidt nahm daher im Juli 2017 zwei weitere Videogespräche in russischer Sprache auf, welche dankenswerter weise von der Journalistin Yana Pevzner Bashan geführt wurden.

 

Präsentation

In den Videoinstallationen sind immer mindestens vier Erzählungen simultan zu sehen. Das Publikum wird bewusst der Überlagerung, der Polyphonie der multiplen Erzählungen des Salomon und seines Alter Egos des Josef (Jupp) ausgesetzt. Die Komplexität wird zugemutet! Es wird davon ausgegangen, dass ein schwerwiegender Unterschied besteht zwischen dem “hebräischen Shlomo”, dem “deutschen Salomon” oder dem “polnischen Salek”…

Die Methode hat Herrn Perel gefallen – könnte sie nicht zuletzt hilfreich sein, seine biografische Zerissenheit in ihren vielen „Dazwischens“ ein Stück weit sichtbar und nahbar zu machen.

Die Arbeit mit Sally Perel ist Teil des Projekts Two Family Archives (Lev, Derschmidt) welches sich der Frage nach der Führbarkeit und Nichtführbar­keit eines Dialoges zwischen Nachfahren von Tätern, Opfern und Mitläufern widmet. Salomon Perel ist mit Sicherheit einer der ganz wenigen Personen, der alle drei Aspekte aus eigenem Erleben heraus verkörpert und besprechen kann: „Ich war Täter und Opfer in einer Person“.

 

 

Factsheet_Videoinstallation_4(8)xSally_deutsch