Falter März 1999

Mann aus Gummi


FILM Der Film „ Komm und sieh Rudyn” ermöglicht die Wiederentdeckung eines Großen des Wiener Kaba­retts. MICHAEL OMASTA

Seinen Namen sucht man in den Anthologien übers Wiener Ka­barett der zwanziger Jahre meist vergebens, obwohl er seinerzeit eine lokale Berühmtheit war: Rudolf Schmitz alias Werner Rudyn alias Rudi Rudyn, Lebenskünstler aus Be­rufung und Tänzer, Akrobat, Schau­spieler von Beruf. Seine Wiederent­deckung verdankt sich einem Zufall. Friedemann Derschmidt lernte den heute 94jährigen Wiener kennen. als er in einem Altersheim seinen Zivil­dienst antrat. Resultat dieser Begeg­nung ist das Filmporträt „Komm und sieh Rudyn” (Co-Regie: Walter Pu­cher), in dem der Titelheld sein beweg­tes Leben noch einmal Revue passie­ren läßt.
Die Erinnerung arbeitet selektiv, in einzelnen Geschichten, die historische Ereignisse zu einer sehr persönlichen Chronik des 20. Jahrhunderts addier­ten. Rudyn ist mit seinen jungen Inter­viewpartnern per du, ein gewitzter Er­zähler und Conferencier eines Lebens, dessen Weg der Nationalsozialismus zu einem großen Teil vorherbestimmt hat. 1933 emigrierte er nach Palästina und schlug sich dort mit Gelegenheits­jobs, als Truppenbetreuer für die Alliierten und nach dem Krieg als Freiwilliger bei der Haganah, ei­ner Schutzorganisation der jüdi­schen Siedler, durch. Mitte der fünfziger Jahre kehrte er zusam­men mit seiner Frau nach Wien zurück und machte hier -über Vermittlung eines Schulfreun­des -noch einmal Karriere als Gewerkschaftler und schließlich Bilanzbuchhalter des ÖGB.
„Komm und sieh Rudyn” lebt vom Charisma seines Erzählers, die eigens für den Film komponierte Musik und das überwiegend aus Pri­vatbesitz stammende Bildmaterial sind ganz dem Gesprächsfluß unterge­ordnet. Ein klares, stimmiges Kon,.ept, denn Rudyn selbst „illustriert”, wann immer nötig, das Gesagte. Beispiels­weise, wenn er über sein Fngagement in „Sodom und Gomorrha” spricht. Der Film wurde 1922/23 an den Ziegelteichen in Oberlaa gedreht, die St a tisterie ging in die Tausende und war für biblisches Volksgemurmel zustän­dig: .,Rhabarberrhabarber ….. Oder wenn er, schon hochbetagt. ,.wei Kolle­gen eine jener Schrittkombinationen veranschaulicht, die ihm einst den Beinamen „Der Mann aus Gummi und Stahl” eintrugen.
Zwei-, dreimal gibt es ein paar Se­kunden lang Schwarzfilm, während der man nur Rudyns Stimme hört. Das mag technis,he Ursachen haben oder auch bewußt als Pause gesetzt sein.je­denfalls ·macht es einem bewußt, wie lückenhaft die Glanzzeit des Varietes in Wien dokumentiert, wie bald man hier mit den Bildern am Ende ist. „Komm und sich Rudyn” ist vielleicht kein großer hhn. als Oral-History­Projekt überzeugt Derschmidts Arbeit aher umso mehr.


Der Film wird bis 20. März, täglich um 20 Uhr, im RonNII, am 11. und 21. Mirz bei der Diagonnle in Graz ..wie am ‘l7. April um 19 Uhr im Literatumaus Wian gezeigt.